Die perfekte Freundin von Lionel Shriver - Eine Freundschaft fürs Leben?

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 Lionel Shriver: Die perfekte Freundin

Liebe Uli,

nun leben wir endlich wieder auf dem gleichen Kontinent, können uns aber leider wegen des Corona-Lockdowns gerade keine Bücher mehr voneinander ausleihen. Bin gespannt, wann wir uns endlich wieder sehen können, nachdem uns jetzt nur noch schlappe 530 km trennen… Bis dahin schicke ich dir einfach hin und wieder eine Lektüreempfehlung von Bayern nach Venetien! Und freue mich schon auf deine Tipps.

Damit bin ich im Grunde schon beim Thema meines Buches: Freundschaft. Wusstest du, dass man Freunde unbewusst nach dem eigenen genetischen Programm auswählt? Eine etwas gruselige Vorstellung. Ist aber durch Studien belegt, wie ich neulich in einer Radiosendung mit dem Autor Bas Kast gehört habe. Wir wollen mit Menschen befreundet sein, die unsere Vorlieben teilen. Was wiederum logisch ist.

Weißt du noch, als einer unserer Lehrer zu Beginn des Referendariats meinte, wir sollten jetzt unbedingt noch ein paar Freundschaften knüpfen, weil es die letzte Gelegenheit im Leben sei. So ein Quatsch. Als ob das was mit dem Alter oder der Lebenssituation zu tun hätte, ob man noch Freundschaften schließt. Und wir wären damals wohl auch ohne diesen Rat Freundinnen geworden. Obwohl diese zwei Jahre der Ausbildung ziemlich hart waren, erinnere ich mich jetzt ans gemeinsame Blaumachen am See, dumme Sprüche auf unserem Anrufbeantworter und die Gruppen-Nachtwanderung, die wir durch unser kindisches Verhalten etwas aufgelockert haben. Jetzt, über 20 Jahre später, können wir immer noch über die gleichen Sachen lachen. Auch wenn wir nicht mehr ganz so kindisch sind…

In dem Buch, das ich für dich ausgewählt habe, geht es auch um eine langjährige Freundschaft. Allerdings um eine zwischen Mann und Frau. Uraltes Thema. Teilweise ja auch unseres. Das Buch, eine 160 Seiten lange Novelle, hat mich jedenfalls fasziniert:

Die perfekte Freundin (im Original The standing chandelier) von Lionel Shriver

Manchmal finde ich es befremdend, dass die Übersetzer den Titel eines Buches nicht einfach auch bestmöglich übersetzen. Ok, „Der aufrechte oder stehende Kronleuchter“ klingt nicht gerade prickelnd. Aber auch der englische Titel ist ja irgendwie sperrig. Genauso wie eben die Freundschaft zwischen diesem Mann und der Frau. Schön, aber ein gewisser Widerspruch. Und der neuen Partnerin im Weg…

In einem Kurs über englische Literatur treffen sich Weston und Jillian und merken schnell, dass sie nicht nur wunderbare Gesprächspartner sind, sondern beide einen Tennispartner suchen. Auch auf dem Tennisplatz harmonieren sie bestens und so entwickelt sich eine langjährige Freundschaft, die sogar den gescheiterten Versuch übersteht, mehr als nur Freunde zu sein.

Nach 25 Jahren Freundschaft mit Jillian geht Weston eine feste Beziehung zu Paige ein und diese ist alles andere als begeistert von der extrem attraktiven und alleinstehenden Jillian. Auch die drei fest arrangierten Tennistreffen in der Woche und die traute Zweisamkeit der beiden im Anschluss sind Paige ein Dorn im Auge. Als Weston ihr einen Heiratsantrag macht, verknüpft sie ihr Jawort mit der Bedingung, dass Weston Jillian nicht zur Hochzeit einlädt und ihr die Freundschaft kündigt.

Nun beginnt für Weston eine Zeit des Herumlavierens. Er möchte weder Paige noch Jillian verlieren und zögert die Konfrontation so lange heraus, dass Jillian ihm in der Annahme, sie sei selbstverständlich zur Hochzeit eingeladen, ein selbst angefertigtes Meisterstück als Hochzeitsgeschenk vorbeibringt. Dieses ist ein sperriges Monstrum: ein stehender Kronleuchter, der aus einem Sammelsurium von Erinnerungsstücken aus Jillians Leben besteht, alle mit viel Liebe zum Detail und Herzblut gestaltet und auf wunderschöne Weise beleuchtet. Dennoch empfindet man als Leser dieses Geschenk als peinlich und auch etwas aufdringlich. Dieser Kronleuchter wird jedoch zum Zentrum von Paiges und Westons Wohnzimmer und die Begeisterung aller Besucher lässt auch Paige ihre anfängliche Abneigung dem Kunstwerk gegenüber schnell vergessen.

Schließlich muss Weston Farbe bekennen und Jillian reinen Wein einschenken. Allein wegen dieses Gesprächs lohnt sich die Lektüre. Eigentlich will man Weston die ganze Zeit zurufen: „Tu es nicht, lass dich nicht erpressen und gib eine so wundervolle Freundschaft nicht auf!“ Auf der anderen Seite - würde man so eine Freundschaft bei seinem Partner hinnehmen? Niemals!!!

Und das ist das Faszinierende an Shrivers Novelle: Die Dialoge der drei Hauptfiguren sind so geschliffen gut und die Personen so klug beschrieben, dass man als Leser einem ständigen Perspektivwechsel unterworfen ist. Man sitzt ähnlich wie Weston zwischen den Stühlen und muss jeder der Figuren in gewisser Hinsicht Recht geben.

Ich bin überzeugt, dass dir das Buch gefallen wird. Und ich bin gespannt, welcher der Charaktere bei dir auf das größte Verständnis trifft.

Da ich gerne im Original lese, habe ich mir die englische (preisgünstigere) Version gekauft, muss aber gleich sagen, dass die Sprache sehr anspruchsvoll ist, sogar für Muttersprachler. In einer Rezension habe ich erfahren, dass auch diese das eine oder andere Wort nachschlagen mussten. Was mich wiederum etwas beruhigt hat…

Viel Spaß bei der Lektüre!

Liebe Grüße

Petra

 

Leseprobe Die perfekte Freundin, Piper Verlag


Infos zum Buch Die perfekte Freundin von Lionel Shriver

Titel: Die perfekte Freundin (The standing chandelier)

Autorin: Lionel Shriver

Übersetzung: Christine Richter-Nilsson

Verlag: Piper Verlag

Erschienen am: 01.12.2020

ISBN-13: 9783492070201

Umfang: 160 Seiten

Preis: 18 Euro

 

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