Shida Bazyar: Drei Kameradinnen - Vom Anderssein
Shida Bazyar:Drei Kameradinnen
Liebe Petra,
dein Buch ist ja ein unglaublich toller Fund. Ich habe noch nie vom Volk der Nenzen gehört. Um so faszinierender finde ich es, über sie zu lesen. Literatur erschließt uns wirklich Orte, an die wir nie kommen würden. Bei Dokumentarfilmen, die ich übrigens sehr liebe, erfährt man zwar auch wahnsinnig viel über andere Länder und Völker, aber in Romanform kann man sich noch auf einer viel persönlicheren Ebene annähern.
Das Buch, das ich dir heute vorstellen möchte, entführt uns nicht in ein fernes Land, sondern wir bleiben in Deutschland. Nachdem in diversen Podcasts darüber berichtet wurde und ich ein Interview mit der unglaublich sympathischen Autorin Shida Bazyar gehört hatte, stand Drei Kameradinnen ganz oben auf meiner Wunschliste. Du kannst dir also vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, als mir ein Rezensionexemplar zur Verfügung gestellt wurde.
Gleichmal vorweg, die Autorin schreibt fantastisch Das Buch zu lesen war inhaltlich für mich aber eher eine Berg-und Talfahrt, von „Na, jetzt übertreib mal nicht“ bis „Irgendwie hat sie ja doch recht“.
Die Drei Kameradinnen, das sind Saya, Hani und die Ich-Erzählerin Kasih, die alle einen nicht näher erläuterten Migrationshintergrund haben, alle hervorragende Schul-bzw. Uniabschlüsse vorweisen können und dennoch immer wieder mit verschiedenen Ausprägungen von Rassismus zu kämpfen haben.
Letztendlich sehr weit von meiner Realität weg. Oder doch nicht?
Wenn es darum geht, in einem anderen Land erst mal nur allein durch sein Aussehen, sein Anderssein aufzufallen, kann ich nach acht Jahren in China ja durchaus mitreden. Nahezu täglich wurden von unserer Familie und insbesondere von C. gefragt oder auch ungefragt Fotos gemacht. Eltern stupsten ihre Kinder an und zeigten mit Fingern auf uns, gefolgt von der Feststellung: waiguoren oder laowai (beides bedeutet Ausländer). „Siehste, ist doch überall so“, mag man da vielleicht denken. „Anderssein fällt halt auf. Die meinen das ja nicht böse.“ Vielleicht nicht. Aber es nervt irgendwann. Genau wie die Frage, wo genau man denn herkomme. „Nali ren? Basiliren? Meiguoren?“ (in etwa: Was für ein Landsmann bist du? Brasilianer? Amerikaner?) Da dachte ich immer, was bringt es meinem Gegenüber zu wissen, dass ich aus Deutschland komme, außer dass er mir gleich mitteilen wird, dass es in Deutschland pijou Bier und baoma BMW gibt. Danke für die Info. War mir neu, genauso wie ich nicht wusste, dass ich in China Ausländerin bin. Ist doch gut, wenn man es mir möglichst täglich mitteilt. Aber insgesamt wird man als Weiße in China ja doch eher sehr positiv gesehen, also das ist dann eher so das Gegenteil von Rassismus, falls es so etwas gibt, so dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es sich anfühlen muss, immer gleich aufgrund des Aussehens unter Generalverdacht zu stehen.
Nun aber zum Roman. Drei Kameradinnen beginnt mit einem fiktiven Zeitungsartikel über einen Jahrhundertbrand in, fast schon hätte ich gesagt, Berlin, aber die Autorin lässt offen, in welcher Stadt die Geschichte spielt. So, wie sie auch absichtlich offenlässt, woher die drei Protagonistinnen kommen und wir dies nur vermuten können. Aber sollen wir das überhaupt? Tut dies etwas zur Sache?
Jedenfalls erfahren wir in besagtem Zeitungsartikel, dass die mutmaßliche Verursacherin des Brandes eine gewisse Saya M. ist. Migrationshintergrund, möglicherweise Islamistin.
Danach setzt die eigentliche Geschichte ein und die Ich-Erzählerin Kasih beginnt, von den Tagen unmittelbar vor dem Brand, aber auch von weiter und weniger weit zurückliegenden Ereignissen aus dem Leben der Drei Kameradinnen zu erzählen. Da ist die aufbrausende Saya, die den Brand gelegt haben soll. Sie ist von Kindesbeinen an so etwas wie die „Bestimmerin“ der Gruppe. Eine, die sich nichts gefallen lässt, die Dinge, den Rassismus beim Namen nennt. Eine, die weiß, was sie will. Erfolgreich im Beruf. Hani dagegen ist eher auf Ausgleich bedacht, Probleme ignoriert sie gern und lieber sieht sie die positiven Dinge in allem. Und dann ist da die Ich-Erzählerin Kasih, die ihr Soziologiestudium mit hervorragenden Noten abgeschlossen hat und dennoch keinen Job findet. Kasih ist eine unzuverlässige Erzählerin und macht auch keinen Hehl daraus. Immer wieder erzählt sie Episoden aus dem Leben der Freundinnen, um dann kurz darauf zuzugeben, dass es doch ganz anders war. Sie weist von Anfang an darauf hin, dass sie nicht vorhat, in ihrer Erzählung gerecht zu sein und dass sie sich ihrer eigenen Vorurteile durchaus bewusst ist. Und so finde ich, die Tatsache, dass sie die andere Seite bisweilen pauschal verurteilt, innerhalb der Geschichte stringent, denn es ist ihre Wahrheit. Im wahren Leben wünschte ich mir jedoch manchmal, dass dem Einfordern von differenziertem Verhalten auf der einen Seite auch das Zugestehen desselben auf der anderen Seite gegenüberstünde.
Kasih jedenfalls berichtet von den Vorfällen, so wie es ihr im Moment wichtig erscheint, denn es ist ihre Geschichte. Dabei hält sie sich natürlich nicht an einen linearen, chronologischen Ablauf, sondern erzählt uns je nach Gemütslage, was ihr gerade wichtig erscheint. Sie unterbricht ihren Erzählfluss, um sich anklagend an den Leser zu wenden, ihn mit seinen Vorurteilen zu konfrontieren.
Hier hatte ich allerdings bisweilen das Gefühl, dass etwas weniger Konfrontation an manchen Stellen auch ok gewesen wäre.
Wie schon erwähnt, war ich während der Lektüre nicht immer durchweg begeistert von dem Buch. Aber tatsächlich bezog sich das bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht auf die Geschichte selbst. Diese muss so erzählt werden, wie sie erzählt wird. Und Shida Baysar macht das ganz wunderbar.
Und dennoch glaube ich mal ganz abgesehen von dem Buch, dass die Lösung mit rechten Ansichten und Ausländerfeindlichkeit umzugehen nicht ist, in diese Richtung komplett undifferenziert zu gucken und jeden sofort als Nazi zu bezeichnen. Das macht ja einen Diskurs, eine Diskussion total unmöglich. Und diese Diskussion wäre doch gerade so wichtig. (Sehr empfehlen zu diesem Thema kann ich dir einen Podcast mit dem ägyptischen Islamkritiker Hamed-Abdel Samad.)
Ein ungewöhnlich ernster Brief für mich heute. Ich bin schon mal gespannt, was du von Drei Kameradinnen hältst.
Liebe Grüße aus dem Veneto
Deine Uli
Auf unserem Blog findest du noch mehr Rezensionen zu guten Büchern und Hörbüchern.
Infos zum Buch (Hardcover-Ausgabe)
Titel: Drei Kameradinnen
Autorin: Shida Bazyar
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Erschienen: 15.04.2021
ISBN: 978-3462052763
Umfang: 352 Seiten
Preis: 22,00 Euro
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