In einem anderen Land von Ernest Hemingway - Ein Literaturstudium ist halt was fürs Leben


hemingway a farewell to arms


Ernest Hemingway: In einem anderen Land 
(A Farewell to Arms)


 Liebe Petra,

 

ich kannte Trevor Noah bisher nur als Gastgeber der Nachrichtensatire „The Daily Show“ und habe mir aufgrund deiner Empfehlung sein Gespräch mit Chimamanda Ngozi Adichie angeschaut. Zwei ganz tolle Persönlichkeiten. Sein Buch musst du mir unbedingt leihen! Besonders tief ist mein Wissen von Südafrika leider nicht. Das meiste weiß ich tatsächlich aus deinen Erzählungen.

Eigentlich sollte ich nicht zuletzt deswegen  thematisch in Afrika bleiben, aber wir haben uns ja vorgenommen, die Welt zu erlesen, und deshalb muss der nächste Buchtipp, der auf diesem wunderschönen Kontinent spielt, noch warten. 

 

Ich dachte, ich überzeuge dich heute, wieder einmal einen Klassiker in die Hand zu nehmen. Einen, der auf der Leseliste für Anglistikstudenten der Uni Augsburg stand. Erinnerst du dich noch an diese Liste? Als beflissene Studentin habe ich mir damals bei jedem Englandaufenthalt möglichst viele Bücher von dieser Leseliste gekauft und versucht, sie zu lesen. Bei Ulysses hatte ich kurz erwogen, dass Studium hinzuschmeißen. Die paar Seiten, die ich angelesen habe, verstehe ich bis heute nicht. Ich würde echt gerne einen Menschen treffen, der dieses Buch von Anfang bis Ende gelesen und verstanden hat.  

 

Aber wie sagte schon Hemingway: “Ein klassisches Werk ist ein Buch, das die Menschen loben, aber nie lesen.“  Sehr treffend, wie ich finde, und gerade was Hemingway betrifft, auf mich mehr als zutreffend. Natürlich war er an der Uni ein Thema, seine Werke standen auf der besagten Leseliste und ich kann noch immer an der richtigen Stelle ein, zwei Sätze zu seinem reduzierten, schnörkellosen Stil sagen und wie eindrucksvoll er seine Kriegserlebnisse dargestellt hat. Ein Literaturstudium ist halt was fürs Leben.

Doch wie komme ich jetzt auf einmal dazu, dir einen echten Klassiker Hemingways als Buchempfehlung nahezulegen?

Dazu muss ich ein wenig ausholen. Kürzlich war C.s Freundin Lucia (den Namen habe ich jetzt einfach mal geändert, sonst kommen in diesem Brief zu viele Einzelbuchstaben vor) bei uns zu Besuch und erzählte aufgeregt, dass in ihrem Ort ein Hollywoodfilm gedreht würde, mit Liev Schreiber, den ich jetzt zwar nicht kenne, aber das ist wohl meinem Alter geschuldet. Er hat wohl in ganz großen Blockbustern wie Wolverine und X-Man mitgespielt, die, wie ich gehört habe, sehr gut sein sollen. Dass also Hollywood und ein Topschauspieler wie Liev Schreiber in Fossalta di Piave, so heißt der Ort, in dem Lucia lebt, einen Film drehen, ist schon etwas Besonderes. Fossalta di Piave hat gerade mal 4000 Einwohner und ist auch sonst nicht ganz zu Unrecht unbekannt. Auf mein Nachhaken meinte C.s Freundin, sie würden dort wohl ein Buch irgendeines Typen namens Hemingway, der dort mal gelebt haben soll, verfilmen. Hemingway, irgendein Typ? Da musste ich natürlich kurz ausholen und mein Halbwissen (reduzierter, schnörkelloser Stil und so) sofort an den Mann bringen. Die beiden Mädels waren nicht extrem beeindruckt und ich hätte das Thema Hemingway in Fossalta di Piave schon fast vergessen, bis ich mit den beiden Freundinnen und Lucias Mutter einen Ausflug nach Venedig machte. Da gäbe es jetzt auch einiges zu Hemingway zu erzählen. Ich sage nur Harry’s Bar und dass mein Halbwissen auch hier nicht wesentlich weiterreicht, aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Lucias Mutter war wohl zufällig auf die Dreharbeiten zu dem Hollywoodfilm in Fossalta di Piave gestoßen und hatte sich daraufhin für ihren Buchclub etwas mehr mit Hemingway in Venetien beschäftigt. Und so sagte sie zu mir: „Wusstest du eigentlich, dass eure Wohnung in der Villa ist, in der im Ersten Weltkrieg ein Lazarett war, und dass Hemingway dort einige Tage verbracht hatte.“  Lazarett hatte ich gewusst, Hemingway nicht. Ich war ganz aus dem Häuschen. So nah war ich einem wichtigen Schriftsteller noch nie gekommen.




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Ansicht der Villa Toso

Da ja allseits bekannt ist, dass Hemingway seine Kriegserlebnisse in seinen Romanen literarisch verarbeitet hat, fing ich an, in meinem Bücherregal meine Hemingways, die, wie man auf Englisch so schön sagt, sich in einer mint condition, also einem tadellosen, weil unbenutztem Zustand befanden, herauszukramen und begann zu lesen und siehe da: Es wird allgemein angenommen, dass unsere Villa, also ich meine die, in der wir eine Wohnung gemietet haben, tatsächlich in In einem anderen Land Erwähnung findet und anhand der Beschreibung kann ich dir sogar genau sagen, in welchem Raum Hemingway gelegen haben muss:

 Der langgestreckte Raum hatte Fenster auf der rechten Seite und eine Tür am hinteren Ende, die in das Verbandszimmer führte. Die Bettenreihe, in der ich lag, sah zu den Fenster und eine zweite Reihe unter den Fenstern zur Wand.“ (Kapitel 12)

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Die Fenster, hinter denen sich der langgesteckte Raum verbarg.


Also, das ist jetzt nicht exakt in unserer Wohnung, sondern im Nebengebäude, aber immerhin schaue ich, wenn ich aus dem Fenster gucke, auf die gleichen Bäume wie der große Ernest. 

Nun aber zum Buch. Wie schon erwähnt verarbeitet Hemingway hier seine Erlebnisse als Sanitäter des Roten Kreuzes während des Ersten Weltkriegs literarisch auf.

Protagonist ist der Ich-Erzähler Frederic Henry, der sein Architekturstudium in Rom abgebrochen hat und 1917 als Sanitätsoffizier in den Krieg in den Nordosten Italiens zieht. Dort lernt er die schottische Krankenschwester Catherine Barkley kennen und verliebt sich in sie. 

Im ersten Kapitel beschreibt der noch namenlose Ich-Erzähler die Gegend, in der er sich befindet und berichtet von den Kämpfen in den Bergen. War ich diesmal sofort restlos begeistert von Hemingways Prosa? Ehrlich gesagt, nicht so sehr. Wahrscheinlich hätte ich gar nicht weitergelesen, wenn ich nicht die Mission gehabt hätte, unsere Villa in dem Buch zu finden. Und was für ein Glück, dass ich am Ball blieb.

Der Ich-Erzähler und die ihm unterstehenden Krankenwagenfahrer warten in einem Schützengraben auf die angekündigte italienische Offensive. Sie essen gerade kalte Makkaroni und diskutieren über den Sinn oder die Sinnlosigkeit des Kriegs, als sie plötzlich von einem Bombenangriff überrascht werden. Dieser Angriff kommt mit einer solchen Wucht und Hemingway versteht es hier wirklich knapp und präzise das Geschehen und die Grausamkeit des Krieges darzustellen.

„…und dann kam ein Blitz, als würde die Tür eines Hochofens aufgerissen, und ein Brüllen, das von Weiß zu Rot überging und zu einem brausenden Sturm anschwoll. Ich versuchte zu atmen, aber da tat sich nichts, und ich spürte, wie ich aus meinem Körper geschleudert wurde und körperlich aus mir selbst heraus mit dem Wind davonflog.“

Dieser Angriff ist ein wichtiger Wendepunkt der Geschichte. Der Ich-Erzähler kommt verletzt für fünf Tage in besagtes Lazarett in „meiner“ Villa, bevor er weiter in ein amerikanisches Militärkrankenhaus nach Mailand verlegt wird. Weit weg von der Kriegshandlung trifft er dort wieder auf Catherine Barkley und ihre Liebesgeschichte vertieft sich. Eine längere Passage des Romans spielt sich nun im Krankenhaus während der Genesung Frederic Henrys ab, bevor er wieder an die Front muss. Und auch wenn die beiden sich wieder treffen werden, so wird diese Liebesgeschichte dennoch tragisch enden. 

 

Ja, und so kam es, dass ich einen großen Klassiker der Literatur zum Glück doch noch gelesen habe, den ich sonst wahrscheinlich nie gelesen hätte. 

Abschließend muss ich noch erwähnen, dass etwas weiter flussabwärts noch eine weitere venezianische Villa für sich beansprucht, besagtes Lazarett gewesen zu sein, und die Experten sich nicht ganz einig sind.


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Ob Hemingways Blick wohl auch auf diesen Baum fiel?




Aber solange mir niemand das Gegenteil beweist, glaube ich ganz fest daran, dass ich über den gleichen Boden wandle, den schon Hemingway beschritten hat.

 

Eine dicke Umarmung von deiner Freundin und neuerdings Hemingway-Expertin!

 

Uli



Leseprobe In einem anderen Land




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Infos zum Buch In einem anderen Land von Ernest Hemingway

Titel: In einem anderen Land 

Autor: Ernest Hemingway

Übersetzer: Werner Schmitz

Verlag: Rowohlt Taschenbuch

Erschienen: September 2020  

ISBN: 978-3499274985 

Umfang: 400 Seiten

Preis:12 Euro (Taschenbuch)  (Kindle 9,99 Euro)


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