Jean-Luc Bannalec: Bretonische Idylle - und nebenbei ein Mord...






 

Jean-Luc Bannalec: Bretonische Idylle

 

Liebe Uli,

ein wirklich interessantes Thema, das du in deinem Brief anschneidest. Man ertappt sich ja selbst immer wieder dabei, Leute nach ihrer vermeintlichen Herkunft in Schubladen zu stecken und ihnen damit von vornherein bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Und das Schlimme ist ja, dass die Betreffenden dann in eine Rolle gezwungen werden, aus der sie selbst nur schwer wieder hinausfinden.

Funktioniert ja auch gut in der Schule und mit sozialer Herkunft oder anderen Kategorien. In meiner Ausbildung habe ich einmal eine Geschichte gehört, die mir ziemlich zu denken gegeben hat. Ein Lehrer verwechselt beim Elternsprechtag die Namen zweier Schülerinnen – eine lebhaft und engagiert, die andere sehr still und zurückhaltend. Er singt der Mutter der Stillen ein Loblied auf ihre Tochter, die eine echte Bereicherung für den Unterricht sei und so weiter. Die Mutter hört sich alles ruhig an und meint dann total ergriffen, dass er der erste Lehrer sei, der so positiv von ihrer Tochter berichtet. Da wurde der Lehrer unsicher, ließ sich aber nichts anmerken. Das Ende der Geschichte: In der nächsten Deutschstunde ist das stille Mädchen wie umgewandelt und bereichert den Unterricht mit ein paar tollen Beiträgen.

Und wir als Fremdsprachenlernende haben ja beide schon die Erfahrung gemacht, dass es einen großen Unterschied macht, ob dich jemand in deinen ersten Kommunikationsversuchen mit einem freundlichen Gesicht ermuntert und begeistert lobt, wie toll du Italienisch, Englisch, Französisch sprichst oder ob das Gegenüber kritisch das Gesicht verzieht, so als ob es Mühe hat, dein Kauderwelsch zu entschlüsseln.

Um Fremdsprachen geht es – unter anderem - auch in dem Buch, das ich dir heute empfehle. Ich sage nur: Neb a fell dezhan ober fall, A gav un digarez pe un all. Na? Richtig, die Hauptfigur im Roman lernt Bretonisch… Der neueste Kriminalroman von Jean Luc Bannalec ist das völlige Kontrastprogramm zu deiner letzten Empfehlung, was schon der Titel zeigt: „Bretonische Idylle“. Und dieser Titel verspricht nicht zu viel: Die bretonische Idylle wird so wortgewandt, so plastisch, so lebendig beschrieben, dass man kaum glauben mag, dass ein brutales Verbrechen hier überhaupt möglich ist. Der Roman beginnt mit einer fast paradiesisch anmutenden Szenerie, die jäh von einem Leichenfund unterbrochen wird. Ein Schafzüchter von der Belle- Île wird in einem Hafenbecken auf dem Festland nahe Concarneau ermordet aufgefunden. Das Problem: Der überaus reiche Großgrundbesitzer war ein Ekel, dessen Tod nahezu allen Menschen, die mit ihm zu tun hatten, Vorteile bringt. Ein nicht ganz leicht zu lösender Fall. Für Kommissar Dupin und seine Kollegen bedeutet das einen Einsatz auf der malerischen Insel Belle-Île vor Quiberon. Für den Leser, dass er diese Gegend bestens kennenlernt, mit all ihrer Schönheit, ihrer Mystik und ihrer Geschichte. Für letzteres ist wie immer Dupins Kollege Riwal zuständig, der erstens von der Belle-Île stammt und als menschgewordene Enzyklopädie zweitens kaum zu stoppen ist, wenn er mal mit dem Erzählen anfängt. Und auch wenn Riwals Umgebung meist genervt reagiert, sind die gut recherchierten und detaillierten Ausführungen für den Leser überaus bereichernd. Man erfährt zum Beispiel, dass es in der Bretagne über 2000 verschiedene Flechtenarten gibt, dass viele der Belle-Îlois von den Akadiern abstammen und dass die Menhire auf der Insel eine Einheit mit den Megalithen von Carnac bilden… Kein Wunder, dass dem Autor, übrigens ein in der Bretagne lebender Deutscher, vor einigen Jahren ein Preis als „Mäzen der Bretagne“ verliehen wurde. Den Tourismus hat er in den Gegenden, wo die Krimis bisher spielen, wohl merklich angekurbelt und auch wir sind während eines Bretagne-Urlaubs schon auf den Spuren von Kommissar Dupin gewandelt.

Neben landeskundlichen Einblicken darf noch ein wichtiges Element nicht fehlen: die Kulinarik. Wenn man die anderen Romane Bannalecs gelesen hat, wird man hier fast ungeduldig, da es lange dauert, bis endlich aufgetischt wird… dann aber gewohnt opulent und fürstlich: „Den gegrillten Ziegenkäse mit Krebsfleisch und Birne, dann den Rochenflügel mit Kapern und Petersilie und dem hausgemachten Püree aus Belle-Île-Karoffeln, (…) als Dessert das Millefeuille aus Himbeere und Pistazien. (…) Und vorab hätte ich gerne einen Teller Bulots und Bigorneaux.“ Ok, auf kleine und große Meeresschnecken kann ich tatsächlich verzichten… Auch die Spezialitäten der Insel kommen nicht zu kurz, z.B. ein speziell gebrühter Kaffee und der Whisky, der nach „Rauch, Heidekraut, Ginster“ schmeckt, dabei „karamellig und jodig. Die ganze Insel ist da drin.“

Etwas zu kurz kommt meiner Meinung nach aber die kriminalistische Handlung. Die Geschichte ist zwar jederzeit nachvollziehbar und nie unlogisch. Und am zweiten Ermittlungstag nimmt das Geschehen auch an Fahrt auf und wird durchaus spannend. Manchmal hatte ich aber den Eindruck, dass der Krimi in diesem Buch eher eine Nebenrolle spielt und die Bretagne mit ihrer Landschaft, ihren Farben, ihrer Sprache die Hauptrolle.

Alles in allem ist das Buch ziemlich unterhaltsam und macht einfach Spaß. Ein Muss für Bretagne-Fans! Es bietet einen mentalen Kurz-Urlaub in einer der schönsten Gegenden Frankreichs. Absolut ungeeignet ist der Roman jedoch für Menschen, die gerade eine Diät machen. Man bekommt beim Lesen immer Hunger. Und Lust auf Wein. Und will am liebsten sofort die Koffer packen und losfahren…

Bin gespannt, ob es dir auch so geht.

Ich grüße dich ganz herzlich

Deine Petra

 

 

Leseprobe

 

 

Infos zum Buch 

Titel: Bretonische Idylle

Autor: Jean-Luc Bannalec

Verlag: KiWi-Paperback

Erschienen: 15.06.2021

ISBN: 978-3462054026

Umfang: 336 Seiten

Preis: 16,00 Euro



 

Hinweis: "Bretonische Idylle" wurde mir umsonst von netgalley.de und Kiepenheuer und Witsch zur Verfügung gestellt.


Das Abenteuer von Kommissar Dupin  gibt es bereits als Hörbuch. 

AUSGABE
ISBN
PREIS

Dieses wurde mir ebenfalls umsonst von netgalley.de und Argon Verlag AVE GmbH zur Verfügung gestellt.  


 

 

 

 

 

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