Petra Reski: Als ich einmal in den Canal Grande fiel
Liebe Petra,
du wirst es nicht glauben, in der Bretagne war ich tatsächlich noch nie. Eigentlich habe ich von Frankreich außer Paris noch nicht wirklich viel gesehen. Ein bisschen schrecken mich meine inzwischen doch sehr rudimentären Französischkenntnisse von einem Besuch ab und auch der Ruf, der den Franzosen vorauseilt, wie sie auf besagte reagieren. Als ich vor Jahren eine Freundin in Paris besucht habe, durfte ich auch gleich am eigenen Leibe erfahren, dass von Gästen perfekte Kenntnisse der Landessprache vorausgesetzt werden. Nachdem ich mehrere Tage meine beiden des Französischen mächtigen Freundinnen alles hatte erledigen lassen, wollte ich mich auch einmal nützlich zeigen und die Frühstücksbrötchen vom Bäcker besorgen. Während ich so in der Schlange wartete, memorierte ich meine Sätze im Geiste. Als ich dann endlich an der Reihe war, wagte ich ein „petit pain aux raisins“ zu bestellen. Du ahnst es nicht, was ich für einen Rüffel von der Bäckereifachverkäuferin bekam. Irgendwas mit „pas petit“ in recht barschem Ton. Wie gesagt, Französisch spreche ich kaum noch, aber dass Rosinenbrötchen im Französischen kein „petit“ vorangestellt werden darf, werde ich Zeit meines Lebens nicht mehr vergessen.
Wenn ich mir jedoch so deine Beschreibung des Krimis durchlese, habe ich allerdings das Gefühl, dass ich mich in der Bretagne wunderbar ohne Rosinenbrötchen mit gegrilltem Ziegenkäse zurechtfinden könnte und einem karamellig, jodigem Whisky wäre ich auch nie abgeneigt. Dank dir und Jean-Luc Bannalec habe ich jetzt bereits so eine Ahnung, wo ich einen meiner nächsten Urlaube verbringen möchte und auch, was ich dort zu mir nehmen werde.
Bis dahin vertreibe ich mir hier in Venetien meine Zeit mit cicchetti, so nennt man die Tapas in unserer Gegend, und Spritz und schau immer mal wieder im inzwischen nicht mehr ganz so leeren Venedig vorbei.
Das bringt mich auch zu dem Buch, von dem ich dir erzählen möchte: Als ich einmal in den Canal Grande fiel – Vom Leben in Venedig von der deutschen Journalistin Petra Reski. Da ich ja seit fast einem Jahr direkt vor den Toren Venedigs lebe, ist das natürlich ein Thema, das mich sehr interessiert. Gerade jetzt, als das Reisen nicht gut möglich war, habe ich Besuche im fast menschenleeren Venedig wirklich genossen. Für mich war es natürlich traumhaft, fast alleine auf dem Markusplatz zu sein, ohne Wartezeit in das Innere der Markuskirche zu gelangen. Aber was für mich ein Traum war, war natürlich für viele andere ein Albtraum, denn kaum eine Stadt ist so abhängig vom Tourismus wie Venedig. Und da wären wir schon beim Buch.
Petra Reski ist seit etwa 30 Jahren Wahlvenezianerin und kennt die Stadt wirklich wie kaum ein anderer. Man merkt, wie sehr ihr Venedig am Herzen liegt und wie sehr ihr selbiges oft blutet, wenn sie Zeugin wird, wie die Stadt immer mehr zu einem Open-Air-Museum, einer Kulisse für Instagramfotos verkommt.
Die Sache mit dem Tourismus ist wirklich ein zweischneidiges Schwert für Venedig. Dass die Menschenmassen, die sich durch die Stadt drängen, nicht gut für so ein kleines Städtchen sein können und das Leben für die noch wenigen Verbliebenen schwer machen, liegt auf der Hand. Bei vielem stimme ich Petra Reski völlig zu. Riesige Kreuzfahrtschiffe, neben denen der Markusplatz wie eine Puppenstube aussieht, sind inakzeptabel und da lasse ich auch das Argument, dass sie (vielen) Venezianern Arbeit geben, nicht gelten, denn durch die Zerstörung der Stadt werden sie langfristig noch viel mehr Menschen ihres Arbeitsplatzes berauben. Auch bei Auswüchsen wie Picknick auf dem Markusplatz veranstalten, in Badekleidung in Kirchen gehen, Selfies machen, während man im Hochwasser planscht, da fehlen mir auch die Worte. Bei anderen Punkten bin ich mir nicht so sicher. So prangert die Autorin an, dass immer mehr Wohnraum verloren geht, da dieser als Airbnb genutzt wird, dass immer mehr kleine Läden aufgeben mussten und stattdessen dort jetzt Souvenirläden oder Eisdielen zu finden sind. Die Sache mit den fehlenden Tante-Emma-Läden kann ich zwar schon verstehen, zumal man in Venedig ja nicht mal schnell ins Auto springen kann und zum nächsten Laden fahren kann, aber dennoch ist das ein Phänomen, das (leider)unserer Zeit geschuldet ist. Auch wenn ich da nostalgisch in meine Kindheit blicke, muss man da wohl - auch in Venedig - realistisch sein. Und auch bei der Argumentation Reskis, dass aufgrund der vielen Airbnbs Wohnraum in Venedig fehlt, bin ich nicht völlig von ihrer Argumentation überzeugt. Es sind halt doch viele ehemalige Venezianer, die aufs Festland ziehen und ihre Immobilien auf Venedig vermieten. Für viele ist es tatsächlich bequemer, auf dem Festland zu leben und zu arbeiten. Und wer sollte es verdenken, wenn sie sich ein so lukratives Nebeneinkommen entgehen ließen.
Insgesamt ist es aber ein wirklich empfehlenswertes, informatives und gleichzeitig sehr unterhaltsam geschriebenes Buch, vor allem wenn die Autorin Episoden aus ihrem Privatleben mit dem Venezianer an ihrer Seite einfließen lässt. Besonders amüsiert hat mich, weshalb die beiden für ihre Hochzeit dem Ruhrgebiet Vorzug gegeben haben.
Ich glaube, das Buch wird dir auch sehr gefallen, nicht nur als Vorbereitung auf deinen nächsten Besuch bei mir. Denn ich glaube nicht, dass man als Resümee des Buches den Schluss ziehen sollte, dass man Venedig gar nicht mehr besuchen sollte. Ich glaube auch nicht, dass das Reskis Intention war, sondern eher ein verantwortungsvoller Tourismus, der auch die Einwohner berücksichtigt.
Liebe Grüße aus Venetien, das jetzt übrigens weiße Zone ist, d. h. wir dürfen uns hier wieder die Nächte um die Ohren schlagen.
Deine Uli
Infos zum Buch
Titel: Als ich einmal in den Canal Grande fiel
Autorin: Petra Reski
Verlag: Droemer Knaur
Erschienen: 01.03.2021
ISBN: 978-3426278468
Umfang: 272 Seiten
Preis: 18,00 Euro (Hardcover)
Hinweis: "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" wurde mir umsonst von netgalley.de und Droemer Knaur zur Verfügung gestellt.
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