In der ersten Reihe sieht man Meer von Klüpfel/Kobr - Proteine! Vitamine! Cocobello!
V. Klüpfel / M. Kobr: In der ersten Reihe sieht man Meer
Liebe Uli,
wenn ich
meine Bücherregale betrachte (die übrigens nicht nach Farben sortiert sind!),
fallen auch mir all die Bücher auf, die ich vor allem während des Studiums
gekauft, aber nie gelesen habe… Als ich damals ein Semester in Wales
verbracht habe, war eines meiner Hobbys, Bücher der Uni-Leseliste in 'second hand
bookshops' zu ergattern. Tja, wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung von
Frauen im Hinterkopf behält, werde ich es nur noch schaffen, das alles zu
lesen, wenn ich jetzt gleich damit anfange und bis zu meinem Lebensende
dranbleibe… Wäre aber schade um all die schönen Neuerscheinungen!
Von
Hemingway habe ich tatsächlich eins gelesen und das ist lustigerweise genau
deine Empfehlung: A Farewell to Arms (In einem anderen Land). Ich meine mich zu
erinnern, dass es mir gefallen hat. Die Tatsache, dass ich dann zwar weitere
von Hemingway gekauft, aber nie gelesen habe, kann man jetzt deuten, wie man
will.
Deshalb bekommst du heute einen Tipp, der weder ein Klassiker ist noch bei deinem nächsten Umzug ins Gewicht fallen wird: Die Hörfassung des Romans „In der ersten Reihe sieht man Meer“ von Volker Klüpfel und Michael Kobr. Und das Tolle ist, dass ich ein wenig mit dir mithalten kann, was die Nähe zu Autoren betrifft: Diesem nun doch einigermaßen bekannten Duo kam ich tatsächlich relativ nahe, da wir das gleiche Gymnasium in Kempten besucht haben. Den älteren Bruder des letztgenannten traf ich regelmäßig in meiner Kemptner Stammkneipe, dem legendären Klimbim, wo eigentlich fast alle Oberstufenschüler gefühlt jeden Abend verbrachten. Und gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, dass ich manche Figuren der Kluftinger-Krimis aus meiner Schulzeit kenne...
Das Hörbuch "In der ersten Reihe sieht man Meer" hatten wir vor Jahren bei einer Fahrt in den Urlaub dabei und ich muss sagen, es war
herrlich amüsant! Nach all ihren Allgäu-Krimis hatten Klüpfel und Kobr wohl
Lust, mal was ganz anderes zu machen und ihre Italienreisen der 80er Jahre
aufzuarbeiten. Und wer ebenfalls in dieser Zeit aufgewachsen ist, wird sich in
vielen Situationen wiedererkennen: Autofahrt mit Grenzkontrollen, Mautgebühr in
Lire, Schwitzen im engen Wagen ohne Klimaanlage…
Die Geschichte nimmt uns mit auf eine Zeitreise: Ein Familienvater der Jetzt-Zeit erlebt den typischen
Stress vor der Fahrt in seinen Italienurlaub, wo neben den eigenen
pubertierenden Kindern und der Ehefrau dieses Mal auch die Schwester und die
Eltern mit von der Partie sein sollen. Sozusagen ein Revival der 80er-Jahre-Familienurlaube
an der Adria. Als alle Familienmitglieder bereits schlafen, genehmigt die
Hauptfigur Alex sich noch ein Glas Wein und schaut ein Fotoalbum eben dieser
Urlaube aus Kindertagen an. Dabei schläft er ein und …. erwacht in seinem
früheren Kinderzimmer als fünfzehnjähriger Teenager, der jedoch mental der
Erwachsene von heute ist. Wenn man dieses abstruse Szenario verdaut hat, kann
man sich auf das Gedankenspiel einlassen, das kein einziges Klischee der 80er
auslässt: Man versucht so braun wie möglich zu werden und brutzelt sich ohne
Sonnenschutz mit Tiroler Nussöl, damit man bei der Heimkehr den Vergleich mit
anderer gebräunter Haut nicht scheuen braucht. Die Erwachsenen verhalten sich
typisch deutsch und sagen Sätze wie: „So was gäb`s bei uns nicht!“ Und
die Ferienwohnung wird vor dem Einzug erst einmal nach deutscher Manier geputzt
und desinfiziert.
Den Leser
bzw. Zuhörer erwarten Dialogwitz und Situationskomik am laufenden Band. Dazu
trägt auch bei, dass die Hauptfigur zwar in seinem fünfzehnjährigen Körper
steckt, aber eben noch wie ein erwachsener Familienvater tickt, der weiß, dass
es irgendwann den Euro geben wird, Berlusconi kein geeigneter Name für eine Strandbar ist und der seinen Vater auch mal nach einer
Zigarette fragt und auf dessen erstaunte Ablehnung antwortet: „Auch gut, ich
hab ja eh vor zwei Jahren aufgehört.“
Die ältere
Generation vertraut dem italienischen Essen nicht, denn "die Italiener haben ganz andere Mägen", und bringt Konservenbüchsen
und Filterkaffee mit in die Ferienwohnung, vermutet überall Betrug und
Verbrechen und spricht alle italienischen Begriffe so falsch aus, wie es nur
geht. Gnotschi und Latte Matschiato kannte man zwar noch nicht, aber glaube mir, genug andere Begriffe, die man schön verhunzen kann. Ein Telefongespräch mit dem Großvater zuhause, der sich auf Grund alter
Weltkriegsanimositäten geschworen hat, niemals nach Italien zu fahren, wird zum
Abenteuer: Zu einer Telefonzelle laufen, in einem Tabakladen ohne
Italienischkenntnisse Gettoni kaufen, in der langen Schlange vor der offenen
Telefonzelle erst einmal die Geschichten fremder Familien anhören, um sich
schließlich mit einem wortkargen alten Mann übers Wetter auszutauschen. Erst
kurz bevor die letzte Münze durchfällt, fällt dem Großvater noch etwas
Wichtiges ein. Gag am Rande: Kommissar Kluftinger und seine Erika tauchen hier
auch kurz auf.
Die
Situationskomik wird bis ins Letzte ausgekostet und man kann sich vorstellen,
welchen Spaß die beiden Autoren hatten, in ihren Erinnerungen zu schwelgen und
diese bis ins kleinste Detail hervorzukramen und dabei immer noch ein wenig zu
übertreiben. Lustig auch, dass sie jedem Kapitel einen Hit aus der damaligen Zeit voranstellen, der thematisch passt. Als typisch italophiler Leser von heute ist man doch immer wieder
erstaunt, wie sehr sich die Haltung der Deutschen Italien und den Italienern
gegenüber in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.
Wer das Buch
liest, dem wird ein Blick ins alte Fotoalbum der Autoren gewährt. Ich empfehle
dennoch die Hörfassung: Es liest Bastian Pastewka und er zieht eine großartige
Ein-Mann-Show ab. Jede Figur bekommt ihre unverwechselbare Stimme, Tonlage und
Sprechweise und das wirkt so authentisch, dass man manchmal wirklich das Gefühl
hat, ein Hörspiel mit unterschiedlichen Sprechern anzuhören. Die ideale
Einstimmung auf einen Italienurlaub – auch ohne Walkman und Kohlrouladen.
Als ich das
Buch angehört habe, bekam ich so eine riesige Lust, mich sofort ins Auto zu
setzen und dich in Italien zu besuchen! Ich hoffe, das ist bald wieder möglich…
Mille baci di
Petra
Infos zum Buch
Titel: In der ersten Reihe sieht man Meer
Autoren: Volker Klüpfel, Michael Kobr
Verlag: Droemer Verlag
Erschienen: 09.03.2016
ISBN: 978-3426199404
Umfang: 320 Seiten
Preis: 29,95 Euro
Infos zum gleichnamigen Hörbuch
Verlag: Osterwold Audio
Erschienen: 02.05.2017
ISBN: 9783869523514
Umfang: 7 CDs, 499 Minuten
Preis: 14,99 Euro
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